klassik.com, Besprechung der CD «Blue Bird»
Melancholische Lieblings-Chormusik
Kritik von Dr. Claudia Maria Korsmeier, 07.06.2014
Blue Bird – Züricher Vokalisten
Eine hörenswerte CD mit vornehmlich zeitgenössischer Chormusik, die sehr ge-schmackvoll und berückend schön interpretiert wird: farbenprächtig-schillernd und die schönste Einladung, nicht vor vermeintlich dissonantem Chorklang zurückzu-scheuen.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Lieblingsstücke von Chorsängern und ihrem Publikum von einer besonderen Melancholie geprägt sind. Und dass es sich dabei keineswegs immer um alte oder ältere Musik handelt, sondern sehr häufig um zeitgenössische Werke, die mit ihren besonderen Klangfarben eine ganz eigene Ausstrahlung haben, welche mit einem Begriff wie Dissonanz völlig unzureichend beschrieben werden. Denn Musik, die nicht den altvertrauten harmonischen Fügungen und Melodieverläufen gehorcht, ist nicht notwendigerweise dissonant, auch wenn Reibungen entstehen. Nicht selten wird ihre besondere Harmonik deswegen auch vielmehr als Farbe beschrieben, die sehr wohl changieren, aber eine Grundstimmung im Sinne von ‚Grundharmonie‘, die als Orientierung dient, ohne weiteres beibehalten kann, ohne dabei dem Traditionellen allzu sehr verhaftet zu sein. Solche Farben sind kaum jemals klar und kräftig, sondern immer etwas verschwommen und unbestimmt-schillernd, melancholisch eben, aber melancholisch im Sinne des auch unbegründet-unbestimmbaren Gefühlsmeeres, das sich nicht zwischen Blau und Grün und Grau entscheiden kann (hier kommt der ‚Blue Bird‘ ins Spiel, der Hinweis auf den lyrischen Charakter der Chormusik im Booklet trifft die Sache eigentlich nicht genau genug). Da spielen die klassischen Grenzen zwischen geistlicher und weltlicher Musik, zwischen Dur-Moll-Tonalität, modalen Tonarten und Polytonalem keine so große Rolle mehr. Auf den Wohlklang allerdings kann nicht verzichtet werden, sei er nun farblich eindeutig bestimmbar oder nicht.
Repräsentative geistliche und weltliche Werke
Mit solcher Musik hat sich das Ensemble der Zürcher Vokalisten in den zehn Jahren seines Bestehens und in rund dreißig Konzert-Programmen einen Namen gemacht. Die 35 teilweise professionell ausgebildeten Sängerinnen und Sänger präsentieren auf ihrer ersten CD einen Querschnitt durch ihr Repertoire. Die zwanzig eingespielten Werke sind größtenteils im 20. Jahrhundert oder an seinen Grenzen entstanden. Man hätte deswegen auf Pierre Passereaus ‹Il est bel et bon› und auf Felix Mendelssohn Bartholdys ‹Die Nachtigall› vielleicht besser verzichtet, da sie ein wenig wie Fremdkörper auf der CD wirken. Immerhin bilden diese beiden Werke einen kleinen Block und leiten gut zu den berückend schlichten und schönen volksliedhaften Chorsätzen schweizerischer Komponisten über.
Die Reihenfolge der Werke ist aber einigermaßen disparat. Warum die Mehrzahl der Vertonungen marianischer Texte im zweiten Teil der CD zusammengefasst ist, Herbert Howells ‹Salve Regina› dann jedoch vereinzelt an dritter Stelle steht, erschließt sich nicht. Und noch ein kleines Monitum: Franz Biebls eingespielte geistliche Komposition ‹Ave Maria› beinhaltet zwar ein dreimal gesungenes ‚Ave Maria‘, diesem Titel wäre aber zumindest der Hinweis auf die Funktion dieser drei ‚Ave Maria‘ hinzuzufügen, die Teil des ‚Angelus Domini‘ sind und mithin das so benannte eigenständige marianische Gebet darstellen (wie man ähnlich ja auch nicht den Rosenkranz mit ‚Ave Maria‘ betiteln würde).
Pure Klangschönheit
Aber dies nur am Rande, denn das gestalterische Agieren der Zürcher Vokalisten ist von einer wirklich sehr schönen Klangfarbe und einem profunden musikalischen Geschmack geprägt. Chorleiter Christian Dillig fasst die Sänger zu einem intonationssicheren und durchsichtigen Chor zusammen, der in der Lage ist, alle Farbnuancen gemäß ihrem jeweils von den Komponisten vorgesehenen Charakter zu gestalten. Traumhaft schön ist zum Beispiel Jaakko Mäntyjärvis ‹Stimme des Kindes›, ein extrem schwieriges Chorwerk, das aber in jedem Takt von der reinen Schönheit sowohl des Lenauschen Sonetts als auch der geradezu liebevollen Vertonung widerhallt. Hervorzuheben sind auch Francis Poulencs ‹Salve Regina›, das titelgebende Stück ‹The Blue Bird› aus Charles Villiers Stanfords op. 119 und Renate Stivrinas ‹Si linguis hominum›. Bemerkenswert auch Arvo Pärts ‹Bogoroditse Djevo› (‚Ave Maria‘), das alle Leidenschaft des orthodoxen Kirchengesangs präsentiert, ohne haltlos zu werden.
Die Sopran-Sängerinnen verfügen über schlanke, helle Stimmen und mischen sich zu einem sphärengleichen Klang. Die Altistinnen gleichen sich dem an und behalten doch ihr charakteristisches Timbre bei. (In Valentin Villiards ‹De profundis› hört man jedoch eine einzelne Alt-Stimme unangenehm heraus.) Die selbstbewussten und doch ungeheuer disziplinierten und klangschönen Tenöre möchte man in einem eigenen Männerchor-Werk exponiert hören und genießt umso mehr ihre quasi-solistischen Stellen in ‹Die Stimme des Kindes›, wo sie unter anderem und untermalt von den anderen Stimmen einen bezaubernden Glockenklang ertönen lassen. Die auch in den Tiefen noch intonationssicheren und profunden Bässe hätten durchaus etwas besser ausgesteuert werden dürfen: Man hörte sie gerne etwas deutlicher.
Die Zürcher Vokalisten haben einen langen Atem, der sich auf den Zuhörer überträgt und ihn quasi zeitlos in Klängen baden lässt. Das Piano ist ihre große Stärke. Aber auch der organische Wechsel zwischen Klangpracht und Innigkeit belegt, dass es sich hier um einen wirklich außerordentlichen Chor handelt.
Schlicht-elegantes Booklet
Das Booklet dieser CD hat einen dunkelblauen mit silbrigem Etikett gestalteten Umschlag in schlichter Eleganz, der weitere 28 Seiten zusammenhält. Es handelt sich also insgesamt um 32 Seiten Booklet in Deutsch und Englisch (und keineswegs, wie auf der Rückseite der CD beworben, um 32 Seiten deutschen und 32 Seiten englischen Text). Die Texte der gesungenen Werke sind in ihrer Originalsprache sowie gegebenenfalls in deutscher und englischer Übersetzung wiedergegeben. Das auch ökonomisch gut aufgeteilte Booklet enthält einige Fotos, die Viten des Chors und seines Leiters, einen Einführungstext und sehr angebracht die Namen der Sängerinnen und Sänger.
Darf man von einer Studio-CD-Aufnahme auf die Konzert-Atmosphäre der Zürcher Vokalisten schließen? Ohne Rückendeckung durch eigene Erfahrung sei dringend empfohlen, die Gelegenheit eines Live-Konzerts dieses Kammerchors nicht zu versäumen!
Quelle: http://magazin.klassik.com/reviews/reviews.cfm?ask=record&RECID=25844&REID=15139